Konzernthemen

„Wir müssen schneller agieren"

Der Talanx-Vorstandschef und sein Nachfolger im Interview mit dem Handelsblatt über den Führungswechsel, die Digitalisierung und den Verdrängungswettbewerb in der Versicherungsbranche.

Drei Worte verkünden das Ende einer Ära: "Talanx beschließt Führungswechsel." So ist die Mitteilung betitelt, die am Freitag über die Ticker lief. Nach zwölf Jahren wechselt der heute 63-jährige Chef Herbert Haas im Mai 2018 in den Aufsichtsrat und macht Platz für seinen Nachfolger Torsten Leue. Der 51-jährige Ex-Allianz-Mann Leue gehörte bisher schon zum Vorstand der drittgrößten deutschen Versicherungsgruppe, die er künftig leitet. Er hat sich offenbar gegen seinen Kollegen Jan Wicke und den Finanzvorstand Immo Querner durchgesetzt. In ihrem ersten Interview nach der Berufung sprachen Leue und Haas mit dem Handelsblatt über die Beweggründe für den Wechsel und die wichtigsten Herausforderungen für den neuen Chef.

Herr Haas, im März sagten Sie, Sie seien gesund und munter und beabsichtigten, Ihren bis Ende 2019 laufenden Vertrag zu erfüllen. Was hat sich in den letzten acht Monaten verändert?
Haas
: Nichts. Meine Aussagen auf der Bilanzpressekonferenz gelten nach wie vor. Um die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden wahrzunehmen, müssen Sie natürlich auch gesund und fit sein. Ich habe immer betont, dass mein Vertrag spätestens Ende 2019 ausläuft. Insofern sehe ich da keinen Widerspruch zu den bisher getätigten Aussagen.

Das Aktiengesetz sieht vor, dass ein Vorstandschef eine zweijährige Abkühlungsphase abwarten soll, bis er in das Kontrollgremium einzieht. Warum glauben Sie, dass es in Ihrem Fall dennoch eine gute Idee ist, direkt zu wechseln?
Haas
: Es gibt die Regelung im Corporate-Governance-Kodex, dass normalerweise ein direkter Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat nicht möglich ist. Es sei denn, dass mindestens 25 Prozent der Aktionäre einen solchen Vorschlag unterbreiten. Es gibt da durchaus Beispiele in der deutschen Industrie wie die Familie Klatten, die 2015 Vorstandschef Norbert Reithofer ebenfalls direkt in das Kontrollgremium von BMW wählte. Der Gesetzgeber hat diese Regelung bewusst in das Gesetz aufgenommen. Und unser Mehrheitsaktionär, die HDI V. a. G, will es ebenso halten. Ich wurde gefragt und wollte den Vorschlag nicht ignorieren.

Herr Leue, neue Köpfe bringen häufig neue Ideen mit. Noch ist Zeit bis zu Ihrem Amtsantritt. Aber wo wollen Sie andere Akzente als Ihr Vorgänger setzen?
Leue
: Zunächst ist mir einmal sehr wichtig, gut zuzuhören. Ich werde im zweiten Halbjahr 2018 mehr sagen können, wo ich andere Akzente setzen will. Derzeit ist es dafür jedoch noch zu früh.

Werden Sie sich zusammen mit Herrn Haas in den nächsten Monaten noch auf die neue Aufgabe vorbereiten?
Leue
: Ja, ich werde die Möglichkeit wahrnehmen, mich noch weiter mit allen Facetten des Unternehmens vertraut zu machen - auch gemeinsam mit meinen Kollegen. Grundsätzlich sehe ich, dass der Konzern mit seiner kundenorientierten Holdingstruktur und mit seiner dezentralen Ausrichtung gut positioniert ist. Schließlich müssen wir schneller agieren in dieser von Digitalisierung und Verdrängungswettbewerb geprägten Welt. Die Voraussetzungen, dem zu begegnen, sehe ich grundsätzlich als gut an.

Herr Haas hat mittelfristig Zukäufe in den USA in Aussicht gestellt. Ist das eine der wichtigen Aufgaben für Sie, Herr Leue?
Leue
: Da kann ich mich nur wiederholen. Es ist leider noch zu früh, um dazu konkrete Aussagen zu machen. Ich trete erst im Mai 2018 den Job an und habe noch keine abschließende Meinung dazu. Aber generell ist natürlich die Frage: Was heißt Globalisierung in einem Geschäftssegment? Aber Näheres dazu im zweiten Halbjahr.

Sie haben mehrere Jahre das Auslandsgeschäft geleitet. Wird die Talanx unter Ihnen jetzt noch internationaler?
Leue
: Das kann gut sein. Allein weil schon die Volkswirtschaften in den Märkten außerhalb Deutschlands stärker wachsen - und damit die Versicherungsmärkte. Auf mittlere Sicht wird deshalb der Anteil des Auslandsgeschäfts größer werden. Das lässt sich rein gar nicht verhindern. Aber selbstverständlich wird das Inlandsgeschäft auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil unseres Geschäfts bleiben und Deutschland unser Heimatmarkt.

Mit dem Industrieversicherungschef Christian Hinsch und Rückversicherungsmann Ulrich Wallin gehen zwei weitere Vorstandsmitglieder bald in Ruhestand. Steht die Talanx vor einem Generationswechsel?
Haas
: Sie haben recht. Die Amtszeit von Herrn Wallin läuft im Jahr 2019 ab, die von Herrn Hinsch im Jahr 2020. Insofern ist es auch ganz gut, dass wir jetzt den Wechsel vorgezogen haben. Sonst hätte 2019 ein Führungswechsel sowohl bei der Hannover Rück als auch bei der Talanx angestanden. Wir werden natürlich, wenn die Amtszeit der beiden Vorstände ausläuft, für adäquaten Ersatz sorgen. Das ist ganz klar. Aber wir haben noch Zeit, mögliche Kandidaten zu identifizieren.

Vorstandschefs gehen gerne mit einer goldgeränderten Bilanz. Wegen der Hurrikansaison dürfte Ihnen, Herr Haas, das versagt bleiben. Schmerzt das sehr?
Haas
: Nein, überhaupt nicht. Wirbelstürme zählen nun einmal zu den Ereignissen, mit denen wir als Versicherer leben müssen. Das ist unser Geschäft. Was mich aber trotz allem zufriedenstellt, ist, dass wir uns im Vergleich zu unseren Wettbewerbern exzellent geschlagen haben.

Ergo und Generali prüfen einen Verkauf ihrer alten Lebensversicherungsbestände. Die Talanx schließt einen solchen Schritt aus. Aber fürchten Sie dennoch um den Ruf des Produkts Lebensversicherung?
Haas
: Sicherlich mag das Produkt kurzfristig darunter leiden. Aber mittelfristig - und da spreche ich von einem Zeitraum von zwei Jahren und mehr - wird sich das schnell wieder verflüchtigen. Ich bin mir sicher, dass die Abwickler die Arbeit ordentlich machen werden, und die Bafin achtet ja auch darauf. Wenn Sie in andere Länder schauen wie Großbritannien, dann ist dort Abwicklung ein tägliches Geschäft. Auch bei uns in Deutschland dürfte es zur Routine werden, wenn der erste Aufschrei vorbei ist - vorausgesetzt natürlich, die Abwickler behandeln ihre Kunden so, wie es vertragsgemäß vereinbart wurde.

Herr Leue, Sie sind Vater dreier Söhne und werden 2018 beim Fußballturnier der Talanx auf dem Platz stehen. Was ist Ihre Lieblingsposition: Stürmer oder Verteidiger?
Leue
: Nichts davon. Ich spiele am liebsten im offensiven Mittelfeld.

Und wie interpretieren Sie Ihre Rolle als Vorstandschef: offensiv oder defensiv?
Leue:
Das richtet sich je nach Situation. Ich bevorzuge einen situativen Führungsstil.