Wer am Telefon in der Warteschleife hängt, muss Geduld aufbringen. Manchmal auch sehr viel Geduld. „Ich stelle dann auf ‚laut‘ und mache nebenbei etwas Anderes“, erzählt Jarosław Paćko. Damit, wie guter Service aussehen sollte, kennt er sich aus: Der 49-Jährige leitet den Bereich „Contact Center“ bei der TUiR WARTA, eine der polnischen Tochtergesellschaften der HDI Gruppe. Hier ist er unter anderem für die Callcenter verantwortlich. Und weiß daher ganz genau, dass auch Versicherer zu bestimmten Zeiten mit überlasteten Leitungen kämpfen – zum Beispiel, wenn nach einem Ausnahmeereignis wie einem Hagelschauer besonders viele Menschen gleichzeitig ihre Schäden an Haus und Auto melden wollen. „Uns beschäftigte die Frage, wie wir unsere Hotlines entlasten können und dabei den Kunden in den Fokus stellen. Ihm soll bei der telefonischen Schadenmeldung sofort und umfassend geholfen werden“, sagt Jarosław Paćko.
Die Antwort heißt Künstliche Intelligenz: Ein virtueller Assistent greift den Callcenter-Mitarbeitern künftig unter die Arme. Ab September ist er der erste Ansprechpartner für Anrufer, die einen Schaden melden wollen. Der Sprachroboter fragt zunächst Basisdaten wie Name, Versicherungsnummer, Fahrzeugtyp und einfache Schadendetails ab. Anschließend übergibt er an seine menschlichen Kollegen, die im Gegenzug Zeit gewinnen, um individuell auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen. Angst, dass ihnen der Roboter den Job wegnimmt, müssen sie keine haben. „Im Gegenteil, wir möchten den Kundenservice ausweiten und hierfür sogar mehr Leute einstellen“, sagt Jarosław Paćko. Während der Voicebot simple Aufgaben übernehme, sollen die Callcenter-Mitarbeiter künftig eine aktivere Rolle im Schadenprozess spielen. „Sie vermitteln Ersatzwagen und stellen den Kontakt zum Werkstattnetzwerk her, was deutlich anspruchsvoller ist. Das bedeutet letztendlich einen Mehrwert für unsere Kunden, deren Probleme wir in einem Telefonat komplett lösen.“
21 Mitarbeiter haben den virtuellen Assistenten in nur einem halben Jahr mithilfe agiler Methoden aus dem Boden gestampft. Zurzeit läuft die Pilotphase. Doch wie lernt man einen Sprachroboter an? „Basierend auf echten Kundendialogen haben wir dem Bot 90 ‚Grammatiken‘ beigebracht. Damit meinen wir die Verknüpfung natürlicher, gesprochener Sprache mit bestimmten Botschaften oder Intentionen“, erläutert Jarosław Paćko. „Am schwierigsten war das Auto-Kennzeichen. Denn es gibt gefühlt eine Million verschiedene Arten, Buchstaben und Zahlen zu betonen und auszusprechen, beispielsweise ‚zwei‘ oder ‚zwo‘, ‚A‘ oder ‚Anton‘“. Fünf Contact-Center-Mitarbeiter analysierten dafür in sieben Wochen 40.000 aufgezeichnete Telefonate. Satz für Satz verglichen sie, was der Kunde sagte und was der Sprachroboter verstand – und korrigierten händisch nach.
Man habe sich bewusst dafür entschieden, dass der Bot wie eine Maschine klingt und sich zu Beginn als virtueller Assistent vorstellt – somit also klar von einem Menschen zu unterscheiden ist, so Jarosław Paćko. Verständigungsprobleme zwischen Mensch und Roboter gäbe es deshalb keine: „Wir waren am Anfang verblüfft, wie präzise, kurzgefasst und leicht verständlich die Kunden mit dem Roboter sprachen.“ Sie passten sich ihrem Gegenüber an. „Wenn wir mit einem Roboter sprechen, geben wir viel klarere Antworten, weil wir wissen, dass er diffuse Angaben wie ,vielleicht‘ nicht verarbeiten kann“, schlussfolgert Jarosław Paćko. Aktuell bewerten 84 Prozent der Pilotkunden den virtuellen Assistenten positiv oder neutral. Nur 25 Prozent steigen aus dem Dialog mit dem Roboter aus und fragen nach einem menschlichen Berater – auch das ist jederzeit möglich. Ein plötzlicher Schaden ist schließlich eine Ausnahmesituation. Und da ist trotz all der Vorteile von Künstlicher Intelligenz nach wie vor menschliches Feingefühl gefragt.