Konzernthemen

Immo Querner: Corona bewirkt auch anhaltende Veränderungen

Die Pandemie hinterlässt nicht nur wirtschaftlich momentan ihre Spuren. Sie führt auch auf längere Sicht zu Veränderungen, sagt Finanzvorstand Immo Querner im Interview mit der „Versicherungswirtschaft“. Als Beispiele nennt er Videokonferenzen, die Arbeit im Home Office und die verstärkte Digitalisierung der Branche.

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Die vergangenen Monate wurden vor allem durch die Corona-Pandemie und deren Folgen für die Versicherungsbranche geprägt. Wie haben sich die Folgen bislang bei der Talanx bemerkbar gemacht?

Natürlich ist die Pandemie auch an der Talanx nicht spurlos vorübergegangen. Schauen wir mal nur auf die Belastungen: Wir hatten im ersten Halbjahr Corona-Schäden von 824 Mio. Euro, die lediglich teilweise von der geplanten Großschadenvorsorge aufgefangen werden konnten. Hinzu kamen negative Effekte in der Kapitalanlage von gut 170 Mio. Euro und durch die Vorsorge für Prämienrückerstattungen von rund 100 Mio. Euro.

Das hat aufs Halbjahresergebnis durchgeschlagen.

Wir haben trotz dieser großen Corona-Belastungen ein Konzernergebnis von 325 Mio. Euro erzielt. Das ist nur ein Drittel weniger als im starken ersten Halbjahr 2019. Insofern ist das eine Ergebnisdelle, aber auch nicht mehr. Betrachtet man unsere Kennziffern ohne den Corona-Effekt, wird deutlich, wie gut die Talanx fundamental dasteht, nämlich besser als im Vorjahr

Welche Kennziffern meinen Sie?

Ohne Corona läge unser Konzernhalbjahresergebnis je nach Rechnung bei über 500 Mio. Euro oder sogar 600 Mio. Euro und wir würden auf ein neues Rekordjahr zusteuern. Die kombinierte Schaden-/Kostenquote wäre nach wie vor stabil bei 97,4 Prozent. Und die Solvenzquote (ohne jedwede Transitionals) liegt selbst mit Corona und eines wachsenden Geschäfts noch bei 191 Prozent und damit am oberen Ende unserer selbstgesteckten Spanne von 150 bis 200 Prozent. Die Talanx ist also weiterhin sehr robust.

Marktbeobachter sprechen von einem neuen Digitalisierungsschub für den Versicherungsvertrieb: Wie sind Ihre Einschätzungen dazu?

Die Digitalisierungserwartungen der Kunden und Vertriebspartner sind – insbesondere durch die Erfahrungen in der Corona-Krise – stark gestiegen. „Hybride Kunden“ - research online, purchase offline - bilden jetzt schon die größte Kundengruppe. Und die Gruppe „Pure Onliner“ wächst weiter. Schnelle Reaktionszeiten, eine zügige Bearbeitung von Schadenfällen und einfache Onlineberatungs- und abschlussstrecken werden zum k.o.-Kriterium im Wettbewerb.

Wo sehen Sie die großen Trends?

Der Digitalisierungstrend im Vertrieb von Bank- und Versicherungsprodukten beschleunigt sich auch in Richtung Plattformenökonomie sowie den Auf- und Ausbau eigener Öko-Systeme, um die digitale Kundenschnittstelle nicht allein den FinTechs und Insurtechs zu überlassen. Hier zeichnen sich neue Kooperationsmodelle ab, die den Kundenbedürfnissen nach transparenten, einfachen und flexiblen Produkten und (digitalen) Services gerecht werden. Bei der HDI Bancassurance etwa laufen aktuell vielversprechende Digitalisierungsprojekte mit unseren Bankpartnern, beispielsweise datenbasierte Vertriebsunterstützung in Verbindung mit Behavioural Economics.

Viele Versicherungsunternehmen haben ihren Geschäftsbetrieb kurzfristig ins Homeoffice verlegt: Welche mittel- und langfristigen Folgen sehen Sie für agile Arbeitsmodelle?

Von den 23.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der gesamten Talanx-Gruppe haben zeitweise deutlich mehr als 20.000 mobil gearbeitet. Weltweit können mehr als 90 Prozent unserer Belegschaft reibungslos mobil arbeiten. An einigen Standorten haben wir zeitweise sogar zu 100 Prozent mobil gearbeitet. Das hat zum ganz überwiegenden Teil sehr schnell sehr gut funktioniert. Daraus dürften sich künftig für Konferenzen, Dienstreisen und die Organisation der persönlichen Arbeit nachhaltige Veränderungen ableiten.

Und die sind?

Im ganzen Unternehmen verzeichneten wir zeitweise zwischen 4.500 und 6.000 Videokonferenzen pro Tag. Das ist nicht nur ressourcenschonender, sondern teilweise sogar effizienter, da man noch fokussierter diskutiert. Videokonferenzen werden deshalb in Zukunft manche Dienstreise überflüssig machen. Außerdem konnte bereits vor Ausbruch der Pandemie in vielen Bereichen der Talanx-Gruppe bis zu zwei Tage pro Woche mobil gearbeitet werden. Diese Regel halten wir aufrecht und prüfen zudem, ob wir die Möglichkeiten erweitern. Andererseits sehen wir auch, dass die Zusammenarbeit im Büro weiter wichtig ist. Sie ist der soziale Kitt und fördert Kreativität. Falsch wäre ein Entweder Oder.

Die Debatte um die Betriebsschließungsversicherungen hat in den vergangenen Monaten ebenfalls die Schlagzeilen dominiert: Verschiedene Versicherer haben bereits eine staatlich-private Versicherungslösung vorgeschlagen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Auch betriebliche Folgen einer Pandemie sind über eine BSV privat versicherbar: Treten in einem Betrieb, etwa infolge einer Pandemie, meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger auf, und wird dieser Betrieb durch eine behördliche Einzelanordnung geschlossen, werden wir im Rahmen unserer angepassten Bedingungswerke auch zukünftig leisten. Das gleiche gilt, wenn ein Betrieb aufgrund einer Einzelanordnung geschlossen wird, um ein Übergreifen meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger aus einem fremden Betrieb auf den versicherten Betrieb zu verhindern. Noch mal deutlich gesagt: Auch Pandemiefolgen sind über die BSV versicherbar, nicht aber flächendeckende Betriebsschließungen auf der Grundlage von Allgemeinverfügungen. Hier versagt das Produktionsgesetz der Assekuranz, nämlich der statische Ausgleich im Kollektiv.

Und hier käme die staatlich-private Versicherungslösung ins Spiel.

Kein rein privatwirtschaftliches Modell ist aus dem letztgenannten Grund in der Lage, solche Risiken einer Pandemie aufzufangen. Hier sind Modelle gefragt, in denen der private Versicherungssektor und staatliche Ausgleichsmechanismen zusammenarbeiten und dazu ggf. auch den Kapitalmarkt mit einbeziehen. Wir unterstützen daher die Initiative des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der dazu eine Projektgruppe ins Leben gerufen hat.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das zweite Halbjahr 2020: Wie sind Ihre Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr?

Wir wissen, dass durch Corona noch was kommt. Leider wissen wir nicht wieviel und wo. Es können z.B. noch Veranstaltungen abgesagt oder Betriebe per Einzelverfügung geschlossen werden. Wie die Kapitalmärkte reagieren, ist auch nicht klar. Und offen ist, wie wir auf der Prämienseite durch eine Schwächung des Wirtschaftsgeschehens betroffen wären, wenn es möglicherweise zu einer zweiten Welle kommen sollte. Deshalb geben wir trotz unserer Zuversicht derzeit auch keine Prognose für das Gesamtjahr ab.