Konzernthemen

Jan Wicke: So tickt der neue Talanx-Finanzchef

Er übernimmt bei der Versicherungsgruppe Talanx das Amt mitten in der Coronakrise. Für den 52-Jährigen ist das gleich die erste Bewährungsprobe. Ein Handelsblatt-Porträt von Jan Wicke.

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Zu seinem Wechsel erhielt Jan Wicke ein besonderes Präsent. Mit einem eigens angefertigten Heft verabschiedeten sich die Mitarbeiter vom bisherigen Vorstand des Industrieversicherers HDI Deutschland. Auf dem Cover prangt der 52-Jährige in gelb-schwarzer-Fußballmontur in Torjägerhaltung. Drinnen finden sich Tipps und gute Wünsche. Die Überschrift des Sonderdrucks lautet in großen gelben Lettern: „Das Spiel geht weiter.“

Das Heft ist nicht nur ein sehr persönliches Geschenk für den bekennenden Borussia-Dortmund-Fan. Es ist auch ein Fingerzeig. Denn tatsächlich geht für den Versicherungs-Topmanager das Spiel in Hannover in die nächste Runde – allerdings in einer nunmehr höheren Spielklasse.

Seit dem 1. September ist der hochgewachsene Manager mit der randlosen Brille neuer Finanzchef der Versicherungsgruppe Talanx, zu der auch HDI zählt. Bisher hatte Wicke, der seit 2014 im Vorstand von Talanx sitzt, den Geschäftsbereich Privat- und Firmenversicherung in Deutschland verantwortet, der aufwendig saniert werden musste. Der Wechsel wurde nötig, da der langjährige Talanx-CFO Immo Querner nach mehr als 14 Jahren seinen Posten räumt.

Doch der Zeitpunkt des Stabwechsels ist nicht einfach. „Das Amt des Finanzchefs mitten in der Coronakrise zu übernehmen bringt mich schon an die zeitliche Belastungsgrenze“, räumt Wicke ein. Denn ebenso wie viele andere deutsche Versicherer hat die Talanx-Gruppe, zu der neben HDI auch die Hannover Rück und die Neue Leben zählen, massiv mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen.

Eine neue Gewinnprognose für 2020 will der Versicherer aus Hannover vor diesem Hintergrund weiterhin nicht abgeben. Neben weiteren wirtschaftlichen Schäden im Fall einer zweiten Viruswelle und zunehmenden Todesfällen etwa in den USA könnte die gerade angelaufene Wirbelsturmsaison zu höheren Belastungen führen, warnte das Management. Hinzu kommen die verschärften Niedrigzinsen. Wicke übernimmt den Sessel des CFO damit in einer schwierigen Zeit, die ihm kaum Gelegenheit lässt, sich ausführlich einzuarbeiten.

Wichtige Hürde beiseitegeräumt

Doch der Blondschopf mit dem jungenhaften Lachen weiß, worauf er sich einlässt. Er kennt bereits genau das operative Deutschlandgeschäft der Talanx-Gruppe und war für die Kernmarke HDI verantwortlich. So musste er in den vergangenen Jahren das kränkelnde Privatkundengeschäft in Deutschland einer Sanierung unterziehen – inklusive Stellenabbau. Das gelang ihm bisher vergleichsweise geräuschlos.

Zwar klappte es wegen Corona nicht, das 2015 initiierte Effizienzprogramm bis zum Übergang auf den CFO-Posten vollständig umzusetzen. Doch mit der Modernisierung der IT im Schaden-/Unfall-Bereich ist eine wichtige Hürde bereits beiseitegeschafft.

„Wicke ist offen, empathisch, aber er kann auch hart sein, wenn er etwas durchsetzen möchte“, beschreibt ein ehemaliger Weggefährte den Manager. Er selbst sieht seine künftige Rolle „als einen strategieaffinen CFO – mit Zahlen auf der einen Seite und strategischen Aspekten auf der anderen“, wie er darlegt.

In den ersten Wochen auf dem Chefsessel des Finanzchefs hat Wicke erst einmal viele Gespräche geführt. „Was ich gerade mache, ist eine Bestandsaufnahme“, sagt Wicke. Zahlen würden letztlich immer von Menschen gemacht. „Ich rede deshalb gerade intensiv mit meinen neuen Mitarbeitern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Zahlen zu verstehen sind.“ Denn natürlich gebe es Unterschiede im Zahlenwerk, wenn hohe Puffer in die Berechnungen eingebaut sind – oder eben nicht. „Das muss ich wissen, sonst kann ich die Zahlen nicht richtig interpretieren.“

Doktorarbeit über individuelle Vermögensverwaltung

Der gebürtige Essener, der aber in Köln aufwuchs, ist allerdings durchaus mit dem Finanzjob grundsätzlich vertraut. Schon als Chief Financial Officer sowie Chief Risk Officer des Vorstands der Wüstenrot & Württembergischen eignete er sich die nötige Finanzexpertise an. So bereitete er das Unternehmen unter anderem auf das neue Regelwerk Solvency II vor, bevor er im Jahr 2014 nach Hannover wechselte.

Dabei wollte Wicke nach seinem Wirtschaftsstudium in Bamberg eigentlich dem Universitätsbetrieb treu bleiben. Doch dann konnte er eine Doktorarbeit über „Individuelle Vermögensverwaltung für Privatkunden“ mit einer Anstellung in der Wertpapier Vermögensverwaltung der DZ Bank verbinden. 1997 wechselt er die Branche und heuert bei der damaligen DBV-Winterthur Versicherung an, wo er stellvertretender Vorstand wird. 2007 geht er dann als Vorstand zur Wüstenrot & Württembergische, wo er zum Chief Financial Officer berufen wird.

Große Veränderungen plant Wicke in seiner neuen Rolle bei Talanx nicht. „Die Grundlinie im Finanzressort werde ich weiterverfolgen“, sagt der Manager, der gerne Krimis zur Entspannung liest. Wichtig, so fügt der neue Finanzvorstand hinzu, sei es ihm, Menschen zu entwickeln. „Ich bin ein Teamplayer.“

Große Scheu vor der neuen Aufgabe legt Wicke dabei nicht an den Tag. So stellte Wicke sich bereits bei der Vorlage der Ziffern – noch vor seinem offiziellen Dienstantritt – in der Telefonkonferenz mit Analysten und Journalisten vor. Es wirkt also nicht so, als wenn Wicke sich künftig als neuer CFO verstecken wollte.

Doch er dürfte einen etwas anderen Stil als sein Vorgänger Querner entwickeln, der gerne Assoziationen und intellektuelle Randbemerkungen in die Präsentationen einwebte. „Ich bin wie Immo Querner auch neugierig, aber vielleicht ein etwas operativerer Typ, der das Geschäft kennt und auch mal Wissenschaft mag“, sagt Wicke über sich selbst.

Es könnte also etwas nüchterner werden auf den nächsten Quartalspräsentationen. Die Investoren werden Wicke aber weniger an den Pointen als an den Zahlen messen.