Konzernthemen

Die digitale Zukunft der Hauptversammlung?

Die Folgen der Corona-Pandemie machen sich auch bei Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften in Deutschland bemerkbar. Reihenweise Veranstaltungen mussten abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

virtuelle-hv-talanx-2020

Als eines der ersten deutschen Unternehmen hielt die Talanx AG ihre Hauptversammlung am 07. Mai 2020 rein virtuell ab, um die Veranstaltung trotz der Corona-Pandemie am geplanten Termin durchführen zu können. Aktionäre hatten die Möglichkeit, ihre Fragen vor der Hauptversammlung zu stellen und konnten ihr Stimmrecht bis kurz vor der Auszählung elektronisch ausüben. Carsten Werle, Leiter Investor Relations der Talanx AG, gibt im Interview eine Einschätzung über die digitale Zukunft der Hauptversammlung.

Herr Werle, warum hat sich die Talanx AG für eine virtuelle Hauptversammlung entschieden?

An der Hauptversammlung des vergangenen Jahres haben rund 700 Aktionäre, Dienstleister, eigene Mitarbeiter und Gremienmitglieder teilgenommen. Eine solche Großveranstaltung ist auf absehbare Zeit nicht durchführbar. Mit der virtuellen Hauptversammlung hatten wir die Möglichkeit, die Hauptversammlung am avisierten Tag plangemäß durchzuführen, termingerecht über die Beschlussvorschläge etwa zur Dividende abstimmen zu lassen und gleichzeitig die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen.

Was ist anders im Vergleich zu einer Präsenzveranstaltung?

Vieles ist zunächst einmal gleich: der formale Ablauf, die Rede des Vorstandsvorsitzenden, die Beantwortung der Fragen von Aktionären und Aktionärsvertretern und die anschließende Beschlussfassung. Wer sich über sein Unternehmen gut informieren und sein Stimmrecht wahrnehmen möchte, fährt mit dem virtuellen Format sehr gut – vielleicht sogar besser als bisher, da die Teilnahme von überall möglich ist.

Was ein Stück weit fehlt, ist die Interaktion und der direkte Austausch: Redebeiträge von Aktionären und Aktionärsvertretern waren in diesem Jahr nicht möglich. Fragen konnten nur vor der Veranstaltung gestellt werden. Aufgrund des Corona-bedingten Abstandsgebots war zudem nur ein Teil der Gremien vor Ort und die Bühne in diesem Jahr kleiner. Der Vorstand war durch Herrn Leue und Herrn Dr. Querner vertreten, der Aufsichtsrat durch Herrn Haas als Versammlungsleiter und Herrn Dr. Lindner.

Welche Herausforderungen gab es?

Der Gesetzgeber hat erst Ende März die gesetzliche Möglichkeit geschaffen. Wenige Tage später haben wir als eines der ersten deutschen Unternehmen zu einer virtuellen Hauptversammlung eingeladen. Vieles war organisatorisch und juristisch Neuland. In Verbindung mit dem sehr knappen Zeitfenster und den fehlenden Beispielen, an denen man sich hätte orientieren können, war das ohne Frage die größte Herausforderung. Das haben die beteiligten Kolleginnen und Kollegen hervorragend gelöst. An einigen Stellen sind wir selber Blaupause für virtuelle Hauptversammlungen anderer Unternehmen geworden.

Wie fanden Sie die virtuelle Veranstaltung?

Wir hatten mit über 93% der Aktien eine höhere Beteiligung als im Vorjahr und zudem eine Vielzahl sehr fundierter Fragen. Die Rede von Herrn Leue und die Antworten auf die Aktionärsfragen fand ich sehr informativ, gleichzeitig hatte die Veranstaltung mit knapp 2,5 Stunden eine gute Länge und war für Externe gut zu verfolgen. Das spricht für eine gute A-Note. Bühnenbild und interaktive Elemente fand ich gelungen, überlasse die Beurteilung der B-Note aber lieber anderen. Klar ist, wir schauen auch bei anderen genau hin, was wir weiter verbessern können.

Würden Sie die Hauptversammlung in Zukunft auch digital durchführen?

Das virtuelle Format hat der Gesetzgeber zunächst für das Jahr 2020 ermöglicht. Wir erleben gerade, dass viele Unternehmen in Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und Dinge in einem geschützten rechtlichen Rahmen ausprobieren. Das halte ich für sehr erfrischend. Das bisherige Format wirkte doch zunehmend verstaubt und zielte in der gelebten Praxis und aus leidvoller Erfahrung vieler Unternehmen vorrangig auf die Vermeidung von Rechtsrisiken. Wenn ein neues Format für mehr Informationsgehalt und Partizipation sorgen kann, finde ich dies wünschenswert. Auch bei Hauptversammlungen wird die Zeit vor und nach Corona nicht die gleiche sein: ich rechne allerdings zukünftig eher mit der Möglichkeit hybrider als mit rein virtuellen Formaten.

Herr Werle, vielen Dank für das Gespräch.