Konzernthemen

Brasilianische HDI Seguros sprintet in eine digitale Zukunft

Das Innovationsprogramm „Go Digital“ der brasilianischen HDI Seguros

Als Murilo Riedel im vergangenen Jahr auf die Bühne trat, da löste er mit einer kleinen Bemerkung wahre Begeisterungsstürme aus: Im Publikum versammelten sich die Regionaldirektoren der brasilianischen HDI Seguros S.A. zusammen mit allen Führungskräften und Mitarbeitern am Hauptsitz in São Paulo. Der seit Dezember 2016 amtierende neue Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft verkündete, dass alle Mitarbeiter fortan auf das Tragen von Krawatten verzichten können. Die Zuhörer sprangen jubelnd von ihren Sitzen auf. Es folgten Standing Ovations.

So unbedeutend das Ablegen der Krawatte im ersten Moment erscheinen mag – bei der HDI Seguros war es ein sichtbares Signal für einen kulturellen Aufbruch. „Wir stehen vor tiefgreifenden Veränderungen“, sagt Murilo Riedel. „Das notwendige Tempo bei der Umsetzung von vielen parallellaufenden Projekten erfordert eine neue Form des Miteinanders. Um in dieser neuen Dynamik zu arbeiten, müssen wir die bürokratischen Routinen straffen, flache Hierarchien einziehen, schneller arbeiten und den alten Formalismus überwinden.“ Die neue Kleiderordnung sei dabei ein Symbol des Ganzen: Mit dem Ablegen der Krawatte verschwinde auch ein Teil der äußeren Form, und der Blick richte sich mehr auf die inhaltliche Arbeit.

Der Wandel kommt nicht von ungefähr: „Brasilien erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit 100 Jahren“, sagt Murilo Riedel. Dadurch kollabierte der heimische Handel mit Neuwagen, deren Versicherung das Hauptgeschäft von HDI ist. Das Kfz-Geschäft rutschte in einen sogenannten weichen Markt mit niedrigen Prämien. In früheren Jahren konnten Versicherer einen solchen Trend durch die Erträge in der Kapitalanlage ausgleichen. Doch das funktionierte bei der schlechten Wirtschaftslage nun nicht mehr. Und zu allem Überfluss stieg die Zahl der Autodiebstähle, und explodierende Preise für Ersatzteile machte die Regulierung der Schäden immer teurer. „Dieser radikale Wandel im Versicherungsmarkt führte dazu, dass wir mit unserem traditionellen Geschäftsmodell nicht mehr in der Lage waren, unsere Ziele zu erreichen.“

Murilo Riedel steuerte mit einem riesigen Innovationsprogramm gegen. Dessen Name „Go Digital“ ist seither zu so etwas wie einem Schlachtruf für HDI Seguros geworden. „Das Programm dient der Neupositionierung von HDI in Brasilien“, sagt Murilo Riedel. Es liefert vor allem Antworten auf zwei wesentliche Fragen: Welche Kosten lassen sich durch digitale Prozesse senken? Und wo entstehen darüber hinaus Mehrwerte durch digitale Lösungen?
Ein Beispiel für den Einfallsreichtum der Brasilianer ist eine Art digitale Auktionsplattform für Autoersatzteile. HDI Seguros unterhält unternehmenseigene Werkstätten, in denen sich die Mitarbeiter einen Schaden erst anschauen, bevor er behoben wird. So lassen sich viele Teile reparieren, die ansonsten teuer neu bestellt werden müssten. Sind dann doch einmal Ersatzteile vonnöten, schauen sich die HDI-Mitarbeiter auf der eigenen digitalen Ersatzteil-Börse die Angebote der Händler an: Wer von ihnen am Ende das günstige Angebot macht, erhält den Zuschlag.

Einzigartig ist auch, dass HDI zusammen mit der spanischen Bank Santander einen digitalen Versicherer ins Leben gerufen. Das neue Unternehmen bietet unter dem Namen „Santander Auto“ ausschließlich Kfz-Versicherungen über die Vertriebsplattform von Santander an. Das Geldinstitut ist die drittgrößte Bank in Brasilien und die dortige Nummer eins im Bereich Kfz-Finanzierung: Kauft ein Kunde in Brasilien ein Auto, erhält er von den rund 9.400 kooperierenden Händlern ein Finanzierungsangebot. Dahinter steht die Santander, die den Kredit vergibt. In nur sechs standardisierten Fragen klärt der Autohändler mithilfe eines Online-Tools der Bank, unter welchen Bedingungen dem Kunden eine Finanzierung angeboten werden kann. Hier dockt HDI nun an: Auf Basis dieser Antworten des Kunden errechnet die Gesellschaft künftig die Prämie für die Kfz-Versicherung. Damit fügt sich HDI nahtlos in die Prozesse der Bank ein. Der Kunde erhält am Ende von Santander für sein Auto eine Finanzierung und eine Versicherung aus einer Hand – Risikoträger der Kfz-Police ist das Joint Venture. Mit dieser Kooperation verfolgt HDI das Ziel, von Platz sechs im Kfz-Markt auf den vierten Rang zu klettern.

Dass in São Paulo nun eine neue Zeit angebrochen ist, macht sich auch am Arbeitsplatz der Mitarbeiter bemerkbar. Anfang Dezember vergangenen Jahres ist die Gesellschaft in ein neues Gebäude gezogen. Auf drei Stockwerken hat HDI offene und moderne Arbeitsplätze eingerichtet. Die wenigen Wände sind aus Glas, so dass sie nicht mehr trennen. Die Teams sitzen eng beieinander, um das agile Arbeiten zu fördern. „Die neuen Büros waren notwendig, um die neuen Prozesse von ‚Go Digital‘ einzuführen“, sagt Murilo Riedel. „Die Räume erlauben den schnellen Austausch von Bereichen, die jetzt noch enger zusammenarbeiten, zum Beispiel die Aktuare und die IT.“ Das spart Zeit – und die ist bekanntlich eine kostbare Ressource.