Tak-tak-tak-tak, rattert es, tak-tak-tak-tak. Ungewöhnliches Stakkato im Eingangsbereich eines Unternehmens, das an Speed-Rap von Eminem erinnert. Und mit dem farbenprächtigen Gemälde, das sich großflächig an der Hinterwand aufbaut, zu einem Gesamtkunstwerk verschwimmt.
Die „Rapperin“ selbst - blond, rundliche Metallbrille, sportlich-elegant gekleidet – ist keine Musikerin. Sie ist Empfangsdame in Hilden, wo die TARGO Versicherungen und PB Versicherungen zuhause sind. Und Maskennäherin. Wenn das Telefon in der Zentrale mal etwas stillsteht, keine Besucher in Sicht sind, keine Mitarbeitenden etwas von ihr wollen, schwingt sich Angelika Spisla an ihre Nähmaschine. Und schneidert – tak-tak-tak-tak - Schutzmasken.
„Wollte mich nützlich machen“
Ihre „Singer“ hat sie schon im März von zuhause an den Arbeitsplatz geschleppt. Als Gesichtslappen noch echte Mangelware waren. Und niemand so richtig wusste, ob und wie er sich schützen soll. Es war stiller und stiller geworden um Angelika Spisla herum, die Kollegen gingen ins Homeoffice, Besucher blieben aus. „Da wollte ich mich anders nützlich machen“, sagt sie. Und so kam ihr die Idee, während der Arbeitszeit Masken zu schneidern. Für die Kollegen. Und – gegen eine Spende – für einen guten Zweck.
Die offizielle Genehmigung erhielt sie postwendend. Vom Abteilungsleiter. Vom Vorstand. „Tolle Initiative“, meinte Andreas Knorr, in Hilden für die Inneren Dienste verantwortlich, also auch Chef von Angelika Spisla. Wie praktisch: Daheim hatte sie noch einen Karton Stoffreste. Der Talanx Krisenstab in Hannover lieferte Schrägband und zusätzliche Stoffe. So schneiderte sie los. Nicht nur am Arbeitsplatz, gelegentlich auch abends zuhause.
Mehr als 500 Masken hat sie inzwischen angefertigt. Karierte, gepunktete, gestreifte, „die Innenseite immer weiß, damit man sieht, dass sie gewaschen werden müssen“. Anfangs war die Farbe schnurzpiepe. Hauptsache, die Kollegen hatten überhaupt einen Corona-Schutz. Mit der Zeit gingen dann auch Sonderwünsche bei ihr ein. „Angelika, kannst du uns vielleicht …“ Na klar. Einer Abteilung nähte sie für eine Veranstaltung 25 Masken in Orange, dem Hausmeister und seiner Crew Totenkopf-Umhänge …
Mutters gusseiserne „Singer“
So wie Jungs früher von ihren Vätern den Umgang mit Säge und Bohrmaschine lernten, hat sie als kleines Mädchen von ihrer Mutter, einer Schneiderin, das Nähhandwerk erlernt. Mit sechs Jahren, an einer gusseisernen „Singer“ mit hölzernem Tretpedal. Fortan hat sie ihren Puppen Kleider genäht. Und später, selbst Mama, drei Kindern Maßkonfektion. Drei Maschinen sind daheim im Einsatz – „aber keine mit Computertechnik, das ist mir zu kompliziert. Ich mag die Handarbeit.“
15 Jahre ist Angelika Spisla inzwischen bei der HDI Group beschäftigt. Die ersten drei im Einkauf, seither am Empfang. Der ideale Job. Kommunikativ („Hier kenne ich fast alle beim Namen“), geduldig und gut organisiert, wie sie ist. „Ich bin noch vom alten Schlag – ich mag Ordnung“, sagt sie über sich selbst. „Sehr sozial“ apostrophiert sie ihr Chef Andreas Knorr. „Super nett, immer gut gelaunt“, so beschreibt sie Özcan Mustafaoglu, ihr Kollege. „Und wahnsinnig hilfsbereit.“ So etwas wie der gute Geist, „wie ein Stück vom Unternehmen“.
Berührt von einem Kollegen-Schicksal
Das Corona-Virus hat sie bereits in Sorge versetzt, als es im chinesischen Wuhan grassierte. Besonders nachdenklich stimmte sie dann ein Artikel im Talanx Intranet: über einen Kölner HDI Kollegen, der sich infiziert und auf der Intensivstation die Hölle durchgemacht hat. „Ich kann nicht verstehen, dass Leute auf Demos die Pandemie verharmlosen“, sagt sie. Klar, durch staatliche Maßnahmen werde die individuelle Freiheit eingeschränkt, und vor allem viele junge Leute fühlten sich gegängelt. „Aber es ist doch zu ihrem eigenen Schutz. Und zu dem ihrer Eltern und Großeltern.“
Unlängst hat die Maskennäherin Kassensturz gemacht. „Da ist eine schöne Spendensumme zusammengekommen." Damit unterstützt sie die bedürftige Familie einer früheren Schulfreundin, die das Schicksal hart getroffen hat. „Die ist so dankbar für jeden Euro, den die Kolleginnen und Kollegen in die Spendenbox geworfen haben."
Ihre Nähmaschine hat Angelika Spisla jetzt wieder mit nach Hause genommen. „Auf einmal gab's einen Knall ... " Maschinenschaden. „Das schau ich mir mal in Ruhe an", sagt sie. „Irgendwie werde ich die schon wieder zum Laufen bringen."