Das Aufsichtsregime Solvency 2 ist seit 1. Januar 2016 in Kraft. Das Ziel ist es, die Aufsicht über die Versicherungsbranche in den Ländern der Europäischen Union stärker zu koordinieren, zu harmonisieren und damit einheitliche Wettbewerbsstandards im Versicherungssektor des europäischen Binnenmarktes zu schaffen.
Versicherer sind gleichzeitig verpflichtet, jedes Jahr über ihre Solvabilität und Finanzlage zu berichten (Solvency and Financial Condition Report, SFCR). Am 23. April 2019 veröffentlichten alle Gesellschaften aufgrund gesetzlicher Vorgaben erstmals ihren jeweiligen SFCR-Bericht. Im Mittelpunkt steht dabei seither die Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR) und die Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement, MCR).
Komplexe mathematische Modellrechnung
Ermittelt werden die Zahlen mithilfe komplexer mathematischer Modellrechnungen, die unter bestimmten Annahmen versuchen, sämtliche für das Unternehmen und sein Geschäftsmodell relevanten Risiken zu berücksichtigen: die versicherungstechnischen Risiken und die operationellen Risiken sowie auch die Risiken, die sich aus der Anlage der Prämieneinnahmen ergeben können.
Sowohl die Finanzaufsicht als auch die Unternehmen als große institutionelle Investoren orientieren sich damit stärker am Geschäft der Versicherungsunternehmen. So können sie frühzeitig gegensteuern und das Unternehmen durch die vorgeschriebenen Kapitalpuffer absichern gegen Risiken wie zum Beispiel Großschäden durch Naturkatastrophen oder extreme Bewegungen an den Aktien- oder Anleihemärkten.
Was die Bedeckungsquote ausdrückt
Die Bedeckungsquote – oder Solvency-2-Quote – drückt aus, wie stark die Kapitalanforderungen, die bei Eintritt eines extremen Szenarios entstehen können, durch Eigenmittel der Gesellschaft gedeckt sind. Wenn die Solvency-2-Quote mindestens 100 Prozent beträgt, ist gewährleistet, dass der Versicherer seine Verpflichtungen auch in einer solchen außergewöhnlichen Krisensituation vollumfänglich erfüllen kann. Liegt die Bedeckungsquote darunter, kann der Versicherer grundsätzlich nach wie vor seine aktuellen und künftigen Garantiezahlungen erfüllen. Das Unternehmen muss dann Maßnahmen ergreifen, um eine Bedeckungsquote von über 100 Prozent zu erreichen. Darüber wacht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Kurzum: Eine Solvency 2-Quote unter 100 Prozent ist keine Schieflage. Es bedeutet lediglich, dass der Sicherheitspuffer für extreme Krisensituationen zeitweilig nicht mehr vollständig aufgefüllt ist.
Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. weist in einer Pressemitteilung darauf hin, bei der Interpretation der Solvency-Quoten Vorsicht walten zu lassen und nicht voreilig ein Urteil über die Risikosituation des Unternehmens zu fällen: „Aufgrund der hohen Abhängigkeit von der Entwicklung des Zinsniveaus werden vor allem die Solvenzquoten von Lebensversicherern von Jahr zu Jahr starken Schwankungen unterworfen sein“, prognostiziert sie. Für seriöse und verlässliche Aussagen muss der Verlauf der Solvenzquoten über einen längeren Zeitraum betrachtet werden.
Interne Modelle und Transitionals
Um diese Quoten adäquat zu berechnen bzw. das Risiko zu bestimmen, hat das Aufsichtsregime der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) zwei Modelle vorgesehen, zwischen denen Versicherer wählen können: ein Standardmodell und ein internes Modell. Die Anwendbarkeit eines internen Modells setzt eine besondere Genehmigung der Versicherungsaufsicht als Ergebnis eines intensiven Prüfprozesses voraus. Das Standardmodell macht u.a. Vorgaben zu Solvenz-Kapitalanforderungen nach Sparten und Risikokategorien. Das interne Modell ersetzt diese formelmäßigen Vorgaben durch Prinzipien, die dem Risikoprofil diversifizierender und komplex aufgestellter Unternehmen entsprechen und diese so ihre Risiken differenzierter betrachten können. Zu diesem Risikoprofil zählen beispielsweise Naturkatastrophen, Staatsanleiherisiken, Negativszenarien oder Bewegungen an den Aktienmärkten, wobei das interne Modell je nach Risikomodul zu höheren oder geringeren Risikobelastungen als das Standardmodell führen kann. Talanx nutzt seit Anfang 2016 ein partielles internes Modell.
Darüber hinaus sieht die Aufsichtsbehörde insbesondere für Lebensversicherungsgesellschaften die Möglichkeit vor, sogenannte Transitionals zu nutzen. Sie sind gerade in der Niedrigzinsphase und der Marktverzerrung durch die Europäische Zentralbank (EZB) ein wesentliches Mittel, um Verbindlichkeiten zu aktuellen Marktzinsen zu bewerten und bestehende Versicherungen auf ein nahezu komplett neues Regelwerk umzustellen, sowie die hohe Volatilität einer stichtagsbezogenen Marktbewertung abzupuffern. Talanx nutzt wie die Mehrzahl der deutschen Lebensversicherer und weite Teile der europäischen Lebensversicherungswirtschaft diese Transitionals. Sie sind ein von der Aufsicht vollkommen akzeptierter Teil der Einführung von Solvency 2 und dürfen auch nur dann angesetzt werden, wenn der BaFin regelmäßig der Nachweis erbracht wird, dass die abschmelzenden Transitionals spätestens nach der Übergangsperiode auch nicht mehr benötigt werden.
Mit einer befristeten Übergangszeit und abschmelzenden Wirkung von 16 Jahren wird diese Regelung nicht nur dem Geschäftsmodell der Versicherer mit langlaufendem Versicherungsschutz gerecht (Durchschnittslaufzeit einer abgeschlossenen Versicherung beträgt in etwa 16 Jahre), sondern dient auch dem Schutz jeder einzelnen Versicherung im Bestand. Den Versicherern ist analog zur Verwendung interner Modelle freigestellt, ob sie diese nutzen wollen oder nicht.